Kurz vorab zur Information: Für das Gelände Friedrich-/Grabenstraße in der Innenstadt soll am 13. März der Beschluss gefasst werden, einen Wettbewerb auszuloben. Dabei werden im Auslobungstext Vorgaben gemacht. Insbesondere sollen ca. 4000 m² BGF (Bruttogeschlossfläche) für einen Supermarkt und einen Drogeriemarkt vorgesehen werden.
Die BbV positioniert sich gegen diese Vorgabe und kommt nach eingehender Beschäftigung mit den vorliegenden Unterlagen und Gutachten zu folgendem Ergebnis:
„Stellt man die Auswirkungen des Vorhabens gegenüber, lässt sich Folgendes feststellen:
- Ein zusätzlicher, über die Nahversorgung hinausgehender Einkaufsbedarf ist nicht vorhanden.
- Die Bewohner des Altstadtbereiches werden mit einer Zunahme an Verkehrsaufkommen und einer Zunahme an Lärmemissionen konfrontiert.
- Ein öffentliches Interesse an weiteren großflächigen Supermarktflächen existiert nicht, vor allem nicht im Stadtzentrum, da die Zahlen lediglich eine Verlagerung der Einkaufsvolumen ausweisen.
- Es bleiben:
- Negative Auswirkungen für die Lebensqualität der Innenstadt und innenstadtnahen Bewohner.
- Negative Auswirkungen für die bestehenden Märkte im Flosch und in der Kehlstraße.
- Eine lose-lose-Situation, ohne Gewinner . . .“
Und hier die ganze E-Mail im Wortlaut:
Sehr geehrte Herren OB Skrzypek, BM Reitze, Stadtplanungsamtsleiter Geissel,
sehr geehrte Herren Dipl.-Ing. Novak, Dr. Ing. Lu Liu, Bruno Raupp,
sehr geehrte Frau Dipl.-Ing. Michaelsen, sehr geehrte Herren Prof. Hähnig, Dipl.-Ing. Helleckes, Prof. Wittfoht, werte Kolleginnen und Kollegen,
wir beziehen uns auf den Artikel in der VKZ vom 13.01.2024: Was macht eine Stadt reizvoll?,mit dem Untertitel: Ein Rundgang durch Vaihingen – aus Sicht des Städtebaus.
Das war uns Anlass, die Problemstellungen, die im Auslobungstextentwurf – Stand: 16.01.2024 – weiterhin Bestand haben, näher zu betrachten und nochmals eingehend zu hinterfragen. – Wir haben große Sorge, dass die erforderliche Akzeptanz der Stadtgesellschaft, für den unter Ziffer 026. Wettbewerbsaufgabe / Realisierungsteil geplanten Absatz „e. Nutzungskonzept“, nicht zu erwarten ist.
Vorwort
Verkehrsgutachten
Bereits das Verkehrsgutachten von brennerplan geht davon aus, dass die gesetzten Marktflächen eine erhebliche Erhöhung des Verkehrsaufkommens mit sich bringen. Zitat: „In der Grabenstraße (Straßenabschnitt 4.1) erhöht sich das Verkehrsaufkommen um bis ca. 4.232 Kfz/24 h auf ca. 8.878 Kfz/24 h“. Ein zugehöriges, für die Entwicklung eines neuen Wohnquartiers unerlässliches, Lärmschutzgutachten fehlt bei dieser Betrachtung. Es ist jedoch angesichts der geplanten Verkehrsaufkommen analog auch mit einer wesentlichen Erhöhung der Lärm-Emissionen zu rechnen. Die zulässigen Lärmpegel in einem allgem. Wohngebiet betragen von 6-22 Uhr / 59dB und von 22-6 Uhr / 44dB, für das normale Verkehrsaufkommen von ca. 500 Fahrzeugen. Diese Werte werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überschritten werden. Zumal eine Überprüfung der zugrunde gelegten Stellplatzerhebungen der Vaihinger Märkte im Gebiet Hans-Krieg Straße und Flosch ergeben hat, dass diese um 25% bis 30% unterhalb der tatsächlichen Stellplatzanzahl liegen, es ist also ein noch höheres Verkehrsaufkommen zu erwarten. – Ist das zumutbar?
Grossflächiger Einzelhandel
Ein wesentlicher Aspekt des Auslobungstextentwurfes ist, dass die geplante Bruttogeschossfläche (BGF) von ca. 2.750 m² für einen Supermarkt und ca. 1.100 m² für einen Drogeriemarkt ohne Not einen Verdrängungswettbewerb verursacht, der den außenliegenden Bestandsmärkte einen Verlust der Kundenfrequenz von 23 % bis zu 36,5 % beschert (siehe Kaufkraftgutachten / ecostra). – Ist das zumutbar?
Die betroffenen Bestandsmärkte dienen aber in erster Linie der Kaufkraft des Mittelzentrums Vaihingen und nicht der Nahversorgung! Wie im Kaufkraftgutachten nachzulesen ist, sind alle Teilorte (Nussdorf erhält bald auch seinen eigenen Markt) mit Märkten versorgt. Es ist also kein Bedarf für neue Marktflächen, außer bei der Nahversorgung, auch in den kleinen Teilorten, zu erwarten.
Desweiteren ist damit zu rechnen, dass vor allem der Einzelhandel der Innenstadt aufgrund der direkten Nähe eines grossflächigen Einzelhandels, noch stärker als bisher leiden wird. Dafür gibt es bereits genügend städtebauliche Beispiele aus der Vergangenheit. Um Wiederholungen zu vermeiden, sei an dieser Stelle erneut auf die Zeitschrift brand eins, Ausgabe 07/2023 und dort ab Seite 90, den Artikel: Nothilfe fürs Zentrum verwiesen (siehe Anhang). Demnach würde Vaihingen damit die Fehler wiederholen, die anderen Kommunen bereits das Genick gebrochen haben.
Problem: Neuer Supermarkt in Wohngebiet
Die Frage nach der Problemstellung „neuer Supermarkt in einem Wohngebiet“, wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach juristisch beschieden. Es haben sich dabei folgende Parameter herausgebildet, u.a. unter Zugrundelegung des § 30 BauGB und des § 4 Abs. 1 BauNVO / allgem. Wohngebiet. Laut § 4 Abs. 2 BauNVO ist in einem Wohngebiet eine Nahversorgung zulässig, sowie Läden, Schank- und Speisewirtschaften und nicht störende Handwerksbetriebe. Nahversorgung bedeutet: in einem Radius von ca. 250 m. Als übliche Größe des Supermarktes im Wohngebiet haben sich ca. 800 m² ergeben. – In den bisher geführten Diskussionen wird davon ausgegangen, dass für die verträgliche 800 m² Verkaufsfläche, kein Betreiber gefunden werden könne. Dies bezweifelt die BbV. Es gibt genügend gute Beispiele für eine funktionierende innerstädtische Nahversorgung: tegut… / REWE-City uvm..
Zeitgemässe Gestaltung eines Wohnquartiers
Aktueller „Stand der Technik“ in der Städteplanung, ist die Zertifizierung eines neuen Quartiers nach DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen). Damit wären alle Aspekte eines neuen und zeitgemässen Stadtquartiers behandelt.- Es ist unbestritten, dass angesichts des Leerstandes in der Innenstadt, nur ein Mittel in der Lage ist, die Einkaufskraft der Innenstadt zu stärken. Das neue Quartier muss ein urbanes Quartier sein und zwar so, wie es der Gestaltungsbeirat im Rahmen des IBA-Bürgerdialoges im Juni 2021 aufgezeigt hatte! – abzurufen unter https://www.youtube.com/watch?v=OC5OjWFnU4k und dort ab Std. 1:22:30.
Neue und „alte“ Bewohner zusammen sind allein in der Lage, die Nahversorgung und den Einzelhandel zu beleben. Sie tragen dazu bei, die Innenstadt attraktiver zu gestalten und die öffentlichen Flächen zu beleben. Hier besteht die große Chance, ein vorbildliches und attraktives neues Stadtquartier zu schaffen, das in der Lage ist, zeitgemäßen Städtebau, „bezahlbaren Wohnraum“, vorbildliche und nachhaltige Architektur und ein pulsierendes, urbanes Leben mit grünen und blauen Strukturen zu realisieren, kurz: ein Quartier mit Vorbildcharakter.
Anregungen
1.
Die Planungshoheit für das Quartier zurückzuerlangen. Es ist nicht erkennbar, dass die Ausstattung des Quartiers mit großflächigem Einzelhandel in öffentlichem Interesse ist.
Vorschlag: für finanzschwache Kommunen besteht die Möglichkeit über die Landsiedlung BW das Gelände zu erwerben. Die Gemeinde entwickelt dann das Gelände und zahlt nach der Vermarktung die Summe wieder zurück.
2.
Es ist im Auslobungstextentwurf nicht zu erkennen, ob das neue Quartier auf Grundlage des § 34 BauGB zu planen ist.
(ERLÄUTERUNG: „Der Gesetzgeber hat diesen Paragraphen aus folgenden Gründen eingeführt: Was ist ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne von § 34 BauGB? Erforderlich ist zum einen die nähere Betrachtung, was ein Bebauungszusammenhang, zum anderen, was ein Ortsteil im Sinne von § 34 BauGB ist. Ein Bebauungszusammenhang ist nach der Definition des Bundesverwaltungsgerichts folgendermaßen zu bewerten (BVerwG, Urteil vom 19.04.2012 – 4 C 10.11): Für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs ist ausschlaggebend, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung – trotz etwa vorhandener unbebauter, aber bebauungsfähiger Grundstücke (Baulücken im engeren Sinne) oder freier Flächen, die wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit (stehendes oder fließendes Gewässer) oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung (Sportplätze, Erholungsflächen) einer Bebauung entzogen sind – den Eindruck der Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) vermittelt (Urteil vom 1. Dezember 1972 – BVerwG 4 C 6.71 – BVerwGE 41, 227 <233>). Darüber, wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft, ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (Urteil vom 14. November 1991 – BVerwG 4 C 1.91 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 236; stRspr).)“
3.
Wird die Dichte von üblichen, stadtnahen Wohngebieten in Form einer Grundflächenzahl (GRZ) von 0,6 – d.h. 60% der Grundstücksfläche dürfen bebaut werden – eingefordert?
(ERLÄUTERUNG. Die Festlegung der überbauten Fläche, dient dem Zweck, auch festzulegen wieviel Freifläche in dem beplanten Gebiet vorhanden sein muss. Dies hat mehrere Auswirkungen zur Folge:
1. Es wird einer zu starken Versiegelung vorgebeugt, was somit einer nachhaltigeren Gestaltung des Quartiers dient.
2. Die Freiflächen halten ausreichend Raum vor für private / halb-öffentliche und öffentliche Freiflächen
Öffentliche Freiflächen für die Erschließung und Durchwegung, was u.a. die sozialen Strukturen im Quartier stärkt
HalböffentlicheFlächen, die den Übergang vom Privaten zum Öffentlichen garantieren
Private Flächen für die private Nutzung.
All diese Flächen sind ein Angebot an die Bevölkerung und führen am Ende zu einer Aneignung der Umgebung durch deren Bewohner, was für ein lebendiges und urbanes Quartier unerlässlich ist und Vandalismus und Verwahrlosung der öffentlichen Flächen vorbeugt. Urbanes Leben kann entstehen.
Fazit
Stellt man die Auswirkungen des Vorhabens gegenüber, lässt sich Folgendes feststellen:
- Ein zusätzlicher, über die Nahversorgung hinausgehender Einkaufsbedarf ist nicht vorhanden.
- Die Bewohner des Altstadtbereiches werden mit einer Zunahme an Verkehrsaufkommen und einer Zunahme an Lärmemissionen konfrontiert.
- Ein öffentliches Interesse an weiteren großflächigen Supermarktflächen existiert nicht, vor allem nicht im Stadtzentrum, da die Zahlen lediglich eine Verlagerung der Einkaufsvolumen ausweisen.
- Es bleiben:
- Negative Auswirkungen für die Lebensqualität der Innenstadt und innenstadtnahen Bewohner.
- Negative Auswirkungen für die bestehenden Märkte im Flosch und in der Kehlstraße.
- Eine lose-lose-Situation, ohne Gewinner . . .
Für die Fraktion Bürger bewegen Vaihingen – BbV
mit freundlichen Grüßen verbleibend
Andreas Schuller – Fraktionsvorsitzender“