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Aufbruchstimmung für Windkraft

Die BbV hatte zu einer Besichtigung des »Windkraftwerks Ingersheim« eingeladen und mehr als 25 Interessierte waren gekommen. Die Fahrt nach Ingersheim wurde per Privat-PkW organisiert – wobei viele davon E-Autos waren. Am Windrad in Ingersheim erwartete die Teilnehmer Heinrich Blasenbrei-Wurtz, Urgestein der Ökoenergiebewegung, Mitstreiter für das Windrad in Ingersheim und langjähriger Vorsitzender des Aufsichtsrats der Energiegenossenschaft in Ingersheim. Entsprechend kenntnisreich wurden die Teilnehmer der Exkursion von ihm informiert.

Gründung und Entstehung

Gegründet wurde die Energiegenossenschaft Ingersheim Im Jahr 2010. Sie wird von 365 Mitgliedern getragen, die fast alle aus Ingersheim und den Nachbargemeinden kommen. Da sich der Sitz der Genossenschaft auch in Ingersheim befindet, fließen also nicht nur die Erträge an die lokal ansässigen Mitglieder, sondern auch die Gewerbesteuern in den Stadtsäckel der Gemeinde.

Kein Wunder, dass bei so viel lokaler Wohlstandsmehrung Gemeinderat, Stadtoberhaupt und Genossenschaft gerne bald ein zweites Windrad bauen würden und hoffen, dass die Region Stuttgart dazu bald die Genehmigung erteilt. Beim Bau dieser ersten Anlage, so plaudert Blasenbrei-Wurtz aus der Vergangenheit, wussten die verschiedenen kommunalen und Landesbehörden überhaupt nicht, wer eigentlich für die Genehmigung einer solchen Anlage zuständig sei und was es dazu alles zu genehmigen gäbe.

Weil es auch in Bezug auf den Windertrag mehr Fragen als Antworten gab, wurde als erster Schritt ein alter Baukran mit einem Windmessgerät an der Stelle des geplanten Windrads aufgestellt und ein Jahr lang die Windstärke gemessen. Nach viel Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung, einem fast unendlichen Kampf mit und gegen die Genehmigungsbehörden und schlussendlich einem Finanzierungskonzept, welches einen sehr hohen Anteil an Eigenkapital der Mitglieder und relativ wenig Fremdkapital der Banken vorsah, konnte gebaut werden. Schließlich wurde im April 2012 eine Windkraftanlage vom Type Enercon E82 mit 2 MW in Betrieb genommen. Sie hat einen Rotor mit 82 m Durchmesser und eine Nabenhöhe von 149 m. Damit kann an diesem Standort an ca. 1.500 Volllaststunden pro Jahr Strom erzeugt werden. Heutige Anlagen, so Blasenbrei-Wurz, wären auch im Binnenland in der Größenordnung 5-7 MW, wobei der Rotordurchmesser überproportional größer dimensioniert wird gegenüber dem Generator, so dass nicht nur die Leistung sondern auch der Ertrag mit ca. 2.000 Volllaststunden deutlich ansteigt. Beides zusammen steigert die Wirtschaftlichkeit erheblich.

Zu den immer wieder diskutierten Risiken durch Infraschall wurde eine ca. 1 Mio € teure Studie aus einem interdisziplinären Team von Geologen, Psychologen und Meteologen erstellt mit dem Ergebnis, dass Infraschall vom Windrad praktisch nicht messbar war gegenüber z.B. dem Infraschall ausgehend vom Straßenverkehr. Auch bezüglich der Gefahr für Vögel gibt es klare Aussagen: Trotz regelmäßigen Absuchens des Geländes wurden keine toten Tiere gefunden. Ein am Waldrand in der Nähe befindlicher Horst einer Rotmilan-Familie war zwar Gegenstand langer Diskussionen im Genehmigungsverfahren, im tatsächlichen Betrieb gab es aber nie eine Havarie. Viele andere zivilisatorische Risiken wie große Glasflächen an Gebäuden, die Jagd (Geflügelbauern überall oder Hobbyjäger in Spanien und Italien), Hochspannungsleitungen oder schnell fahrende Autos und Schnellzüge bergen viel größere Risiken für die Vögel. Auch bezüglich des Uhus, der nachts in Bodennähe Mäuse jagt oder der Fledermäuse gab es keine Beobachtung von Havarien mit dem Windrad.

Betrieb und Wirtschaftlichkeit

Genau hinterfragt wurde von den Teilnehmern der Exkursion auch der ökologische Fußabdruck. Die Konstruktion besteht aus einem Betonfundament, auf dem ein 83m hoher Turm aus Fertigbeton-Schalen steht. Der Spannbeton wird dabei mit im Turm verlaufenden Stahlseilen dauerhaft unter Spannung gehalten. Der oberste Teil des Turms besteht aus einer Stahlkonstruktion. Nach den Worten von Heinrich Blasenbrei-Wurtz hatte die Windkraftanlage Ingersheim etwa 4 Monate nach Inbetriebnahme die Energiemenge produziert, die zu ihrem Bau benötigt worden war. Viele Befürchtungen gab es vor der Baugenehmigung zum Lärm den die Anlage machen könnte. Heute berichten die direkt benachbarten Aussiedlerhöfe, dass sie praktisch nichts hören. Die Anwesenden testeten das sofort. Alle verhielten sich für ein paar Minuten ganz ruhig und hören von der sich drehenden Anlage – nichts. Sehr viel wahrnehmbarer waren der Straßenverkehr auf der Landstraße und der Autobahn in der Ferne.

Auch über die Wirtschaftlichkeit wusste Blasenbrei-Wurtz alle Details. Etwa im 13. oder 14. Betriebsjahr wird die Anlage ihr Betriebskapital an die Eigentümer zurückgezahlt haben. Ausgelegt ist die Anlage für eine Lebensdauer von mindestens 20 Jahren. Bis vergangenes Jahr wurde der Strom nach dem EEG-Gesetz (Erneuerbare Energien Gesetz) eingespeist und pauschal vergütet. Heute wird der Strom an einen Stromversorger für Naturstrom per PPA (Power purchase agreement, also Direktvermarktung) verkauft, was den Erlös um ca. 1 Cent pro kWh verbessert. Die Teilnehmer wollten es genau wissen: Warum beobachtet man immer wieder still stehende Windkraftanlagen, obwohl sich benachbarte Anlagen drehen, es also offensichtlich nicht an mangelndem Wind fehlt. Insgesamt haben Windkraftanlagen eine sehr hohe technische Verfügbarkeit von über 99%, so dass es nur selten an einer technischen Störung liegt. Häufiger schon werden Windkraftanlagen trotz ausreichenden Windes kurzzeitig abgeschaltet, wenn z.B. ihr Schattenwurf auf einen Aussiedlerhof fällt (ca. 30 Minuten) oder wenn der Wind den Turm des Windrads mehrfach in dieselbe Richtung um die eigene Achse gedreht hat. Dadurch werden die innerhalb des Windrads verlaufenden Starkstromkabel verdreht. Das Windrad muss anhalten und sich zurückdrehen, was schon mal 2 Stunden dauern kann. Der immer stärkere Ausbau von Windkraft und PV-Anlagen bei gleichzeitig nicht ausreichend schnellem Ausbau der Stromnetze bewirkt auch, dass allein im Jahr 2023 etwa 7% des Stroms aus erneuerbaren Energien abgeregelt werden musste (das ist etwa das Vierfache dessen, was alle E-Autos in Deutschland verbrauchen).

Beeindruckt von der Fülle und Genauigkeit der Informationen diskutierten die Teilnehmer noch eine ganze Weile, was denn zu tun sei, um nicht nur in Ingersheim sondern auch an anderer Stelle, z.B. in Vaihingen, Windkraftanlagen Wirklichkeit werden zu lassen. Mit einem kleinen Präsent wurde zum Abschluss Heiner Blasenbrei-Wurtz für seinen großartigen Einsatz an diesem Nachmittag gedankt.