Bericht vom Besuch am 20.11.2021
Als fünfköpfige Gruppe (Michael Berthold, Karen Hansen, Hans-Jürgen Steiger, Ingeborg Welz und ich) machen wir uns am späten Vormittag des 20.11.2021 von Vaihingen aus auf den Weg nach Nagold zu den im Rohbau befindlichen Hoffnungshäusern. Leider gab es Corona-bedingt einige Absagen, und bedauerlicherweise konnte es auch keiner der gewählten Gemeinderatsmitglieder möglich machen, an der Fahrt teilzunehmen. Mit einer VVS-Tageskarte fahren wir zunächst nach Bondorf, von dort mit dem Bus weiter nach Nagold zum „Hasenbrunnen“, einem innerstädtischen Neubaugebiet im Wohn-Gewerbe- Mischbereich zwischen der Kernstadt Nagold und dem Ortsteil Iselshausen. Das ist zwar nicht gerade im Zentrum, doch der Bahnhof Nagold-Steinberg ist hier fußläufig erreichbar, und in die Innenstadt kommt man in wenigen Minuten problemlos mit dem Fahrrad.
Wir steigen an einem Einkaufszentrum aus dem Bus und erreichen nach kurzem Fußweg das insgesamt über vier Hektar große Neubaugebiet, auf dem neben Einzel- und Doppelhäusern auch mehrere Mehrfamilienhäuser entstehen, bei denen bezahlbares Wohnen und ökologisches Bauen wichtige Kriterien sind. Die Bauplätze wurden nach sozialen Kriterien über ein Punktesystem vergeben, beim Geschosswohnungsbau über ein Bewerbungsverfahren mit Konzeptvergabe. Zwei der Bauplätze wurden der „Hoffnungsträger Stiftung“ verkauft; die beiden hier errichteten Hoffnungshäuser fallen uns schon von weitem durch ihre gefällige Architektur ins Auge, so dass wir nicht lange nach der Adresse suchen müssen.
Empfangen werden wir am Eingang von Herrn Hartmann, dem Standortleiter der Hoffnungshäuser, der mit seiner Familie hier einziehen wird, und Herrn Seeger von der Hoffnungsträger Stiftung; beide erläutern uns das Wohnkonzept und führen uns durch eines der Häuser. Bereits von außen fallen die geschwungenen Balkone der Häuser auf, die in allen Stockwerken durchgehend die Wohnungen miteinander verbinden. Auch die Holzbauweise, die mit den Holzlamellen die beiden Gebäude prägt, fällt sofort ins Auge.
Erstellt wurden die Häuser in modular Bauweise aus vorgefertigten Teilen innerhalb weniger Monate; der Bezug der Wohnungen ist im Sommer 2022 geplant. Insgesamt entstehen in den beiden Gebäuden 17 Wohnungen; eine weitere Wohnung ist für Gemeinschaftsprojekte vorgesehen. Jedes Hoffnungshaus hat barrierefreie Erdgeschosse, Solaranlagen oder begrünte Dächer und entspricht einem KfW 55 Effizienzhaus; die Architektur wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. In dem verbauten Holz sind rund 500 Tonnen CO2 dauerhaft gespeichert.
Die Wohnungen haben ein bis fünf Zimmer mit einer Wohnfläche zwischen 30 und 105 Quadratmetern. Zentraler Raum ist immer eine Wohnküche; die Innenwände werden tapeziert, an den Außenwänden bleiben die OSB-Platten sichtbar, ebenso die Brettsperrholzdecken. Sogar die Rahmen der Dreifachfenster sind aus Holz gefertigt.
Und wer wird nun – außer dem Standortleiter mit seiner Familie – in den Häusern wohnen? Bewerben können sich Geflüchtete aus der Anschlussunterbringung im Kreis Calw und Einheimische, die nicht für sich allein leben wollen, sondern bereit sind, das Zusammenleben in der Hausgemeinschaft mit einem ehrenamtlichen Engagement von ca. 10 Stunden im Monat zu unterstützen, wobei eine Mischung von jeweils 50 % Geflüchteten und Einheimischen angestrebt wird und nach Möglichkeit alle sozialen Schichten vertreten sein sollen. Wohnen werden hier also Menschen, die für einander da sein wollen und versuchen werden, sich gegenseitig zu unterstützen. Über die Standortleitung ist dabei auch ein enger Kontakt mit dem Jobcenter und den Sozialarbeitern gewährleistet, ebenso mit den kommunalen Behörden, den Kirchengemeinden und ehrenamtlichen Netzwerken, so dass die Integration der Geflüchteten möglichst gut gelingen kann. Die Mietverträge sind unbefristet, für Mieter mit Wohnberechtigungsschein wird die Miete 33 Prozent unter der ortsüblichen Neubaumiete liegen.
Wir fragen, wie es kommt, dass gerade hier in Nagold, einer mit Vaihingen von der Größe und Struktur durchaus vergleichbaren Stadt, diese Gebäude entstehen. Offenbar waren hier zunächst persönliche Beziehungen ausschlaggebend. Nagolds ehemaliger Dekan Ralf Albrecht und Markus Witzke, Vorstand der Hoffnungsträger Stiftung, kennen sich von ihrer gemeinsamen Arbeit im evangelischen Jugendwerk. Und Dekan Albrecht brachte das Projekt „Hoffnungshäuser“ im Sommer 2018 über das Dialogforum „Unter den Linden“, einem mit der Gartenschau 2012 in Nagold entstandenen Format, in die öffentliche Diskussion. Die Idee wurde von OB Jürgen Großmann (CDU) aufgegriffen und vom Gemeinderat Anfang 2020 mit dem Verkauf der Grundstücke abgesegnet. Nicht überall war das gelungen; so verhinderte z. B. im letzten Jahr eine Bürgerinitiative mit einem Bürgerentscheid den Bau von Hoffnungshäusern in Schwaigern, und auch in Bönnigheim war es nicht möglich, die dort ursprünglich geplanten Hoffnungshäuser zu bauen.
Eigentümer der Häuser ist die Hoffnungsträger Stiftung, die von dem Sozialunternehmer Tobias Merkle (Sohn des Unternehmers und Ratiopharm-Gründers Adolf Merckle) gegründet wurde und sich zum Ziel gesetzt hat, aus christlicher Dankbarkeit und Nächstenliebe heraus notleidenden Menschen mit Hilfe zur Selbsthilfe neue Perspektiven aufzuzeigen. Neben weltweiten Projekten zur Resozialisierung von Straftätern und zur Versöhnung mit den Opfern engagiert sich die Stiftung in Baden-Württemberg vor allem durch den Bau der Hoffnungshäuser. So soll es bis Ende 2022 bereits 29 Häuser mit rund 200 Wohnungen an verschiedenen Standorten wie Bad Liebenzell, Esslingen, Konstanz, Leonberg, Schwäbisch Gmünd, Sinsheim, Straubenhardt und eben auch in Nagold geben.
Die Gesamtkosten für den Bau der beiden Hoffnungshäuser betragen rund 4,6 Millionen Euro. Die Finanzierung erfolgt zur Hälfte über Bankdarlehen, ein Viertel der Kosten werden durch Förderzuschüsse bezahlt, 700 000 € stellt die Stiftung als Eigenkapital zur Verfügung, und weitere 460 000 € wurden über private Anleger bereitgestellt. Die Refinanzierung der Kosten erfolgt über die Mieteinnahmen und über Spenden.
Obwohl wir die halbe Stunde, die für unseren Besuch reserviert wurde, um 15 Minuten überziehen, ist die Zeit mit Gesprächen und Besichtigen der Räume viel zu schnell vergangen, und wir müssen den Platz für weitere Besuchergruppen räumen. Mit dem Dank an unsere Gesprächspartner für die vielfältigen Informationen verbinden wir die Hoffnung, dass wir uns möglichst bald bei der Grundsteinlegung zum Bau von Hoffnungshäusern in Vaihingen wiedersehen werden. Bevor uns Bus und Bahn zurück nach Vaihingen bringen, schlendern wir noch durch die Innenstadt von Nagold. Im Vergleich zu Vaihingen geht es da auch am Samstagnachmittag noch recht lebendig zu, und wir runden den interessanten Ausflug mit einem gemütlichen Besuch im Inselcafé am Waldachufer mit dem Genuss von Kaffee und Kuchen ab. Dabei entsteht die Idee, ähnliche Informationsausflüge in Zukunft vermehrt durchzuführen.
Bernhard Link